Dichtung | Erzählung | Chimären

Buchkritik: Die Goldwaage
 

 

Deutschlandfunk Kultur | Lesart | Björn Hayer

 

August 2024

 

 

"eine sehr taktvolle, eine zärtliche, eine ehrliche Lyrik über Schmerz, Neubeginn und all das Verborgene, das eigentlich dazwischen liegt – eine Lyrik, in die man sich verlieben kann!"

 

 
"Wie aus Wunden Wunder werden – unter der Traurigkeit deckt das Lyrikdebüt von Nasima Sophia Razizadeh utopische Tiefenschichten auf

 

Wir taumeln – durch Traumlandschaften, entlang an roten Mohnfeldern oder mitten hinein in einen Wald, in dem wir „die Rehung erfahren“ und dann, verwandelt und entrückt, im Arm eines Riesen ruhen. Wo diese halluzinativen Reisen enden, ist in Nasima Sophia Razizadehs erstem Lyrikband, „Die Goldwaage“, stets ungewiss. [...]


Obwohl die Poeme zumeist in Melancholie getaucht sind, [...] bergen die Texte somit einen utopischen Glutkern. Sie lassen die Tristesse der Gegenwart hinter sich und erschließen mit Wortkreationen wie „urkünftig“, „Urlicht“ und „Fundland“ unbekannte oder verloren geglaubte Räume. Kein einfacher Prozess, eher eine, wie man liest, „Entstrüppung“. Wohl aus diesem Grund nutzt die Autorin konsequent verschachtelte Kettensätze. Man betritt ein Labyrinth, ohne ganz die Orientierung zu verlieren. Denn mit sich wiederholenden Motiven wie Licht und Finsternis, Händen und Augen wird man eines poetischen Ariadnefadens gewahr. Er führt uns ins kaum umrissene Zentrum all dieser zauberhaften Verführungen und Verschlingungen: das Geheimnis, das zwar zur Sprache kommt, sich aber erfreulicherweise nicht vollends enthüllt."

Rezension: Die Goldwaage
 

 

Textem | Jonis Hartmann

 

September 2024

 

"Sprachgewandt, geistreich, in Schleifen – so arbeitet Die Goldwaage. Nasima Sophia Razizadeh erschafft in diesem gewichtigen, bei Wallstein erschienenen Lyrikband additive Gedichte, die einen Bogen spannen aus Sprachherkünften, ohne strophische Zäsuren und meist auf einer Seite stattfinden als Ort der Dichtung [...]"

 

"Die Gedichte bleiben zurückhaltend in ihren Bögen der Auskünfte von jenem lyrischen Ich, das wie ein Brückenstein zu Satz / Besatz kommt. Hellwache Träume, wenn man so will, die wie Etüden einer Persona einspannen, der zugeschaut / -gehört werden darf, wenn wie in Abhandlung eine gleichnamige stattfindet zur dortigen Erforschung der Silbe „mund“ in verschiedensten Vorkommen und Stellungen, mit erfrischendem Ausgang. Die Goldwaage ist nicht angelegt, um in einem Zug hindurchzulesen, die schiere Länge verhindert den Gesamteffekt, sondern vielmehr die Selbstähnlichkeiten im Einzelgedicht, wie in der einzelnen Silbenbetrachtung, ihrer Verarbeitungen bei Nasima Sophia Razizadeh schätzen zu lernen: Das vorsichtige Blättern."

 

Rezension: Die Goldwaage
 

 

WDR 5 Bücher | Matthias Ehlers

 

August 2024

 

"Ihr lyrisches Debüt "Die Goldwaage" weist sie als originäre Dichterin aus. In neun Abschnitten entwickelt Nasima Sophia Razizadeh kleine und größere Geschichten, die substanziell und einleuchtend Inhalte transportieren, die die Dichterin tiefenwirksam ausleuchtet."

 

"Die Gedichte von Nasima Sophia Razizadeh spielen mit Fiktion und Wirklichkeit und lösen damit konventionelle Grenzen auf, die dem Verständnis ihrer Lyrik eine zusätzliche Dimension mitgeben. Das macht die Dichterin gekonnt und stilsicher. "Die Goldwaage" ist ein sehr interessantes und gelungenes Debüt."

 

Die Sprache, das Meer und der Körper

 

Mai 2024

 

Der Kunstwissenschaftler Steffen Siegel über Sprache und Meer:

 

"„Sehen ist lebendiger als Sprechen. Das Sprechen vom Sehen aber ist wie ein langes Bad im Blick.“

Literarische Debüts können ja viele Formen annehmen, aber wann hat es das zuletzt gegeben, dass ein Autor, eine Autorin als Erstes eine eigene Poetik vorlegt? „Sprache und Meer“ von Nasima Sophia Razizadeh – erschienen im vergangenen Herbst bei Matthes & Seitz Berlin in der noch fast neuen Reihe „Rohstoff“ – ist kaum weniger als das.

In gut dreißig kurzen Texten und auf nicht ganz einhundert Seiten werden drei Motive umkreist und immer wieder neu zueinander in Beziehung gesetzt: die Sprache, das Meer und der Körper. In den so gezogenen Dreiecken geht es um die Bedingungen des Schreibens: Erfahrung, Berührung, Worte, Werkzeuge, Zeit.

Die Texte sind so präzise gesetzt wie das vor allem sehr gute Lyrik leistet, viele Sätze schillern zwischen Sentenz und Vers. Kein Zufall wohl also, dass der letzte, kürzeste Text des kleinen Buches ein Gedicht ist. Vielleicht ist er auch schon der erste des nächsten? Für den Juli ist im Wallstein Verlag der Gedichtband „Die Goldwaage“ angekündigt. [...]"

 

Schönheit des Fragments
 

Gutenbergs Welt |  WDR 3 

 

Januar 2024

 

"Auch gebrochene Formen haben ihren Reiz. Kersten Knipp stellt Bücher vor, die die Kunst des Fragments feiern und immer wieder neu zum Erzählen ansetzen. [...] 

Die Autorin Nasima Sophia Razizadeh denkt in "Sprache und Meer" über das Wasser und seine Verbindungen zum literarischen Schreiben nach."

 

Eine Fußnote zum Fragment:

 

Gerade hinsichtlich ihrer Fragmentierbarkeit und/oder ihres Fragmentierungszwangs scheiden sich vielleicht die Wege der Sprache und des Meers - oder auch nicht, vielleicht liegt und wogt in beiden, auch, die Schönheit des Unfragmentierbaren und sie branden also ebenbürtig-störrisch, einfach, wieder ineinander.

Von der "Berührung im leisen Spiel 
mit der Sprache"
 

Gespräch über Sprache und Meer 

 

Dezember 2023

 

"Im Herbst 2023 ist Nasima Sophia Razizadehs Debüt Sprache und Meer erschienen, außerdem war sie als H.C. Artmann-Stipendiatin in Salzburg zu Gast. In ihren wortspielenden und bilderreichen Texten entfalten sich vor der Leser:in Reflexionen über Sprache, Sprechen und Schreiben sowie Szenen und Narrative über die sinnliche Wahrnehmung, über eine sanft-wilde Monstrosität der Phantasie, über Hingabe, Bewegung und Berührung. Nasima Sophia Razizadeh im Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Corinna Sauter."

 

 

[...] Vielleicht ist es da wie mit dem Unterschied oder Zusammenhang zwischen den Wörtern wirklich und eigentlich. Vielleicht auch wie mit dem Hund des alten Manns in Camus’ Der Fremde, den sein grimmiger Besitzer immerzu loswerden zu wollen scheint und doch innig liebt. Was den Vorzug genießt, was fasziniert, was Angst macht, was ich will, was ich nicht will, was ich will und gleichzeitig nicht will, wobei die zwei Seiten des Widerspruchs sich sogar kausal bedingen können, ist nicht sagbar. Eigentlich will ich, wenn ich im Meer schwimme, weiter und weiter und weiter hinausschwimmen, ich höre schon den Sirenengesang, alles ist Wasser und Licht, die schimmernde, wogende Wasseroberfläche, der leere, blaue Himmel, der hochstehende, hypnotisierende, weiße Lichtfleck, und je weiter ich wegschwimme vom Land, desto wahrer wird diese äußerste Reduktion. Eigentlich ist die Lust auf so eine Schönheit anziehender als alles, was ich in meinem Rücken weiß. Ich kann schwimmen. Ich besitze eine vielleicht verheerende Schwimmgabe. Ich spüre mich im Wasser und fühle mich, als hätte ich das mir zugehörige Habitat wiedergefunden. Ich will, eigentlich, nur schwimmen und davonschwimmen. In der Wirklichkeit aber fürchte ich mich ab einem gewissen Punkt vor mir, dem Wasser, dem Licht, der zunehmenden Verlassenheit – diese Begegnung ist in der Tat monströs. An dieser Grenze erinnere ich mich daran, dass ich die Grenze liebe und sie gerade deswegen nur eigentlich auflösen wollen, nicht aber wirklich überschreiten kann, denn sonst würde ich ihr ja das Begrenzende, ihre Eigenschaft, den Grund für mein Begehren nehmen. Ich schwimme zurück ans Ufer, hastiger, mit Blick auf die anderen Badenden und Strandbesucher, kleine bunte Figuren, mit Blick auf die andere Grenze, die Wasser-Land-Grenze, die so viel zahmer ist, die ich doch überschreiten kann, immer wieder und in beide Richtungen. Die Grenze, an die ich weit draußen im Meer stoße, ist grotesk, schön, aber grotesk. „Grotesk, grotesk.“, schreibt Thomas Bernhard. Für die Wirklichkeit zu absolut. Die Grenze, über die ich nun ins Land zurückgerate, vom Schwimmen zum Gehen durchs brust-, dann knie-, dann knöchelhohe Wasser übergehend, und wo ich ins Trockene gerate, selbst langsam trockne, anders bebend nun als zuvor, ist kafkaesk, ist schön und schmerzhaft und – kafkaesk. Zwischen dem Grotesken und dem Kafkaesken habe ich mir, wortlos, schwimmend, in Erinnerung gerufen, was und wie und weshalb ich schreibe. Und während ich mit der Zungenspitze noch die Sprachlosigkeit auf meinen Lippen schmecke, sie koste, mit noch tropfendem Haar, ist die Angst verebbt, ist auch das Glühen gedimmt, ist auch der Groll vergessen, schreibe ich womöglich schon wieder irgendetwas auf oder denke an jemanden oder drehe mich, glücklich, um die eigene Achse, glücklich, mich im Kreis drehen zu können, glücklich, dass geschieht, was nicht sagbar ist, und umgekehrt.

Ausgezeichnete Dichtkunst
 

 

Radiofabrik - FVONK | Freier Rundfunk Salzburg

 

Dezember 2023

 

Moderation: Susanne Höll und Su Imhof (Radiofabrik), Felicitas Biller (mosaik)

 

"Wir freuen uns sehr, in unserer Dezembersendung die Dichterin Nasima Sophia Razizadeh bei unserem Radiotalk begrüßen zu dürfen. Nasima war im November als H.C.-Artmann-Stipendiatin in Salzburg, um die Eindrücke der Stadt in ihren Texten zu verarbeiten. Beeinflusst wurde sie dabei vom berühmten Salzburger Schnürlregen, aber auch Begegnungen, Schnee, Berge und Georg Trakl waren Inspiration für ihr Tun."

 

 

Ein Auszug aus dem Interview ist in der Literaturzeitschrift mosaik (März 2024 | Nr. 42) nachzulesen.

"Da Malina schläft, fange ich zu schreiben an."

 

Über Ingeborg Bachmanns Roman Malina und einen Besuch in der Ungargasse, Wien III, im November.

 

November 2023

 

[...] Nähe fühlt man, hier, in der Ungargasse, nur im geöffneten Fenster, im Fensterrahmen, auf der Fensterbank, „vor einem Fenster werden wir stehen, lass mich ausreden!“, wo sich, unvermittelt, spürbar, weder klar trennbar, noch vereinbar, Innen und Außen berühren dürfen. Das konzentrierte, davonsehnende Eigene und die gewaltige, heranbrandende Ferne. Und kein Drittes. „Ich:    Doch. Eine Ausnahme.

 

[...] Der Wunsch nach dem Ganzen in Einem ist so eng eingewoben, dass es sich schmerzhaft liest, zuweilen, schmerzhaft ist. Er erfüllt sich nicht. Das ist die Bestimmung des „Zeitalter[s] der Stürze“, aber hierin liegt auch „die Poesie meines Geschlechts“ begründet. Es gibt kein oben und unten, kein Maß, das taugt.

 

Die Nähe von Dichtung und Leben, das Potenzial und die Gefahr dieser Nähe, ist, manchmal, schwer erträglich. Es flimmert in „Malina“ und genauso flimmert es in der Ungargasse 6, Wien III. [...] Die unberührt bleibende Nähe des Stadtparks im Roman wird, wenn man selbst den „Weg zum Stadtpark hinunter“ macht, ganz nach- und unnachvollziehbar, und man weiß nicht so recht, von wo nach wo der Schatten fällt, von der Gasse auf den Park oder umgekehrt. [...] Im Stadtgarten habe ich, um die Anspielung aufzulösen, natürlich neben Bachmann Celan gesucht. Ein Weg hinaus aus der Erzählung, zurück, für einen kurzen Moment, in die Dichtung.

Poésie en prose
 

November 2023

 

Der Philosoph Alexander Schnell über Sprache und Meer:

 

"[...] Die Worte reihen sich im Horizont eines mit dem Unendlichen abgestimmten - und zugleich mit ihm ringenden - Rhythmus und dabei mit ergreifender Sicherheit so aneinander, dass jede einzelne Silbe (!) "den" treffenden Klang erzeugt. Eine metaphysische Tondichtung, die Sprache, Leiblichkeit und immer wieder überraschende Sinnabgründe miteinander vermittelt. Selten werden der Leser und die Mitdenkerin derart in die Tiefen einer mit sich kämpfenden Selbstbesinnung und -entkleidung der Sprache, die diese dabei rastlos zu neuen, unerwarteten Ufern führen, in den Bann gezogen. [...] Eine ästhetische und denkerische Beglückung, ein atemberaubendes Debüt!"

Es ist Ende Juli. Ich bin in Berck sur Mer.
 

Juli 2023

 

 

[...] Das zufällig getroffene Zeitfenster, aus dem heraus ich diesen präferierten, leider aber atypischen Tagesablauf beschreibe, ist, gemessen an der Festung eines ganzen Jahres, kaum mehr als eine Scharte, doch während ich nun schreibend hindurchblinzle durch meine schmale opake Sommer-Scharte, löst sich die restliche Jahresfestung auf und ganz kurz ist alles Fenster, ohne Glas.

Es ist Ende Juli. Ich bin in Berck sur Mer.

 

[...] Die Literatur scheint mir aber hier ein Exempel statuieren zu können, zu müssen, indem sie sich für die Wortwahl, den Wortwillen, das Wortwagnis, für Gewähltheit und Gewandtheit, mal für Zugewandtheit, mal für Abwendung, entscheidet. Das Wort ist kostbar. Das Wort, wie so vieles andere Verkannt-Kostbare, will, scheint mir, viel häufiger, und sei es bloß spielerisch, auf die Goldwaage gelegt werden.

Literatur muss nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt werden. Hierbei darf doch der Betrieb nicht vergessen, dass er nicht nur die Verantwortung trägt, den Nachttisch mit neuer (guter) Lektüre zu beliefern, sondern auch dem Schreibtisch die abgeschlossenen (guten) Manuskripte abzunehmen und also Raum zu schaffen für neue Texte. Das Herzstück dieses Kreislaufs bleibt aber der phantasierende, Worte wählende, sie verwebende, und ihnen, indes, in seiner Wildnis, auf eigene Kosten, Wohnraum gewährende Kopf.

Und Literatur muss nicht nur geschrieben und gedruckt, sondern auch gelesen werden, denn das Schreiben nährt sich davon, vom Gelesenwerden, wenn auch nur behutsam, wie in Spurenelementen. Dem Leser ist der Autor also ohnehin und auf alle Zeiten verbunden, zärtlich verbunden. [...]

© Nasima Sophia Razizadeh. Alle Rechte vorbehalten. 

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